Schwinge verwürgt

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martin s aus b
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Schwinge verwürgt

Beitrag von martin s aus b »

Jetzt hab ich die TX schon 18 Jahre und erleb beim Schrauben immer noch Überraschungen.

Auf den seither gefahrenen knapp 30.000 km hab ich mindestens fünf Mal einen neuen Hinterreifen aufgezogen, ein paar mal das Rad wegen miserabler Bremswirkung ausgebaut und auch ein oder zwei Mal einen Platten geflickt und auch dazu zwangsläufig jedes Mal das Rad ausgebaut. Und jedes mal wieder hab ich mich gewundert, wieso sich die Hinterachse so schlecht ziehen und wieder einstecken lässt. Und mir dabei gedacht 'ich sollte mal ...' aber, was auch immer ich sollte, nie gemacht..

Beim Umbau des Hinterrads auf den Ruckdämpfer hab ich, weil das nicht auf Anhieb alles gepasst hat, ich einen undichten Schlauch mit verbaut hab und die Bremswirkung zunächst auch noch miserabel war, das Rad fünf oder sechs mal ein- und wieder ausgebaut. Wie vorher auch hab ich die Achse jedes Mal raus- und wieder reingewürgt und beim dritten Mal hats mir gereicht :evil:

Achse lässt sich schon im senkrecht stehenden Rad nicht richtig stecken. Zwischen den beiden Lagern gibts ein Distanzrohr das mittels eines übergesteckten Blechrings in Flucht zur Lagerbohrung gehalten wird. Den Blechring hat ein Gewaltschrauber krumm gedrückt, die Distanz rutscht gute 5 mm aus der Flucht wenn das Rad ohne Achse senkrecht steht und schon beibt die Achse beim durchstecken so hängen daß der Plastikhammer ran muß. Die Nabe erhitzt, Lager ausgebaut, Blechring wieder rund gedengelt und eine zusätzliche zweite Scheibe auf die Distanz aufgeschweisst, mit neuen Lagern zusammengebaut - alles ist gut.

Aber das war jetzt ja das neue Rad von der TX 500, geklemmt hat die Achse aber auch schon mit dem Originalrad. Und in dem lässt sie sich problemlos stecken, das kanns also nicht gewesen sein.

Überraschung: Die Achse lässt sich ganz allein, schon ohne Rad, nicht locker durch die beiden Langlöcher der Schwinge stecken. Ich muß sie durchwürgen, da fluchtet irgendwas nicht. Das hätt mir auch schon länger mal auffallen können!

Da könnt man jetzt vielleicht mit der Wasserwaage quer drüber prüfen ob die Schwinge verbogen ist. Wenn man sicher wüsste daß das Motorrad genau senkrecht steht. Kurzes Telephonat mit Stephan der mir bestätigt was ich eigentlich schon weiß - das wird nix, die Schwinge muß raus und dann in Bezug auf ihre eigene Achse geprüft werden.

Zum Schwingenausbau muß ich die Achse und dann auch die Lagerbuchse rausklopfen. Zum Vorschein kommt ein Schwingenlager das zwar spielfrei ist aber, zumindest deuten ein paar Fresser darauf hin, wohl mal eine Zeit mit wenig Fett gelaufen ist. Ich bin mir keiner Schuld bewusst aber die TX hat vier Vorbesitzer. Nach Entfernung 50 jahre alten Fettes und Abziehen mit Schmirgelleinen lässt sich sowohl die Achse wie auch die Lagerbuchse wieder von Hand stecken.

Zu Zeiten als wir mit jugendlichem Elan in der Garage meines Elternhauses noch an meiner Honda CB 250 und an der völlig vermurksten CB 450 K eines Nachbarn geschraubt haben hat ein Freund, der damals als Kfz-Schlosser im Versuch eines Stuttgarter LKW-Bauers tätig war, unserer Werkstatt eine 10 mm starke, 30 x 50 cm große, beidseitg geschliffene Graugußplatte und zwei selbst gefräste und präzisionsgeschliffene Prismen beigestellt. Ob sein damaliger Arbeitgeber...??? Schwamm drüber, verjährt.

Die Platte hab ich in Ölpapier konserviert in Ehren gehalten und nutz sie geschätzt alle zehn Jahre um was zu messen. Die Schwinge ist länger als die Platte, die Schwingenachse für Schwinge plus Auflage in beiden Prismen fast zu kurz, aber es geht grad so.

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Zuerst versuch ich alles mit der Wasserwaage zu checken aber dazu müsst die Platte selbst genau im Wasser sein. Das wird nix aber eine Messung mit Tiefenmaß von beidseits der Unterkante des Langlochs auf die Platte ergibt im Rahmen der Meßgenauigkeit beidseits identische Maße, die Schwingenarme sind also nicht gegeneinander höhenversetzt.

Bleibt die Prüfung mittels Meßwinkel auf (Recht-)Winkligkeit. Und als Ergebnis die Überraschung des Tages

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Der rechte Schwingenarm ist tordiert, die Distanz von gut 3 Millimeter auf einer Höhe von 40 mm zum Meßwinkel ergibt einen Verdrehwinkel von ca 4°. Darf sicher nicht sein, hört sich erst Mal aber auch nach nicht viel an. Wie ich dann noch mal die Achse durchsteck stell ich fest daß sie von links nach rechts das gegenüberliegende 4° verdreht stehende Langloch trifft, beim Durchstecken aber beidseits klemmt, von rechts nach links durch das verdrehte Langloch gesteckt aber, logisch, Geometrie 6. Klasse, Strahlensatz, auf der anderen Seite voll daneben liegt.

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Wie ich mir die Schwinge darauf hin genauer anschau entdeck ich im Versteifungsblech das vorne am Achsrohr zwischen den beiden Holmen eingeschweißt ist eine Beule.

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Ob die Verdrehung des Schwingenarms das Blech gebeult oder die Beule im Blech den Schwingenarm verdreht hat - einen Höhenversatz der beiden Arme gegeneinander durch einen Schlag, einen Unfall, einen Randsteinrempler mit Sturz hätt ich mir vorstellen können. Aber wies einer der vier Vorbesitzer geschaft hat einseitig einen der beiden Schwingenarm zu tordieren ist mir ein absolutes Rätsel. Aus der Fabrik in Japan wird sie ja so nicht gekommen sein. Obwohl, wenn der Staplerfahrer beim Umladen der Schwingen vor dem Lackieren eine Palette umgeschmissen hat ....würde zumindest erklären wieso es bei unzweifelhafter Gewalteinwirkung zwar die Beule aber keine Kratzer, Lackabplatzer oder ähnliches gibt.

Hilft alles nix, ich spann die Schwinge an der verdrehten Achsaufnahme im Schraubstock ein, steck ein langes Rohr durch das Achsrohr und versuch, die Torsion zurückzudrehen. Aber nur kurz, zum Einen verdreh ich dabei, bevor sonst was passiert, die Werkbank samt Schraubstock, zum Andern wird mir schnell klar daß ich, falls ichs schaff genug Kraft und Widerstand aufzubauen, auf diese Art an der Schwinge alles möglich verbiege bevor ich die Torsion im Holm zurückdrehe. So also nicht, nehm ich stattdessen die Feile und feil diagonal gegenüber an der oberen und unteren Langlochfläche eine 4° - Schräge ran. Natürlich nicht exakt und gemessen, einfach so lange mal oben, mal unten drüber gezogen bis sich die Achse auf der ganzen Länge so durchstecken lässt, daß sie ohne Klemmen durch das Langloch im andern Schwingenholm verschiebbar ist. Das dauert dann doch eine ganze Weile, die Lehrlinge in der Mahle-Lehrwerkstatt mit denen zusammen ich beim studienbegleitenden Praktikum den üblichen U-Stahl befeilen durfte hätten wieder ihren Spaß gehabt.

Aber es hat sich gelohnt, beim Radeinbau flutscht die Achse jetzt nur so durch. Kann ich die nächsten 100.000 km schmerzfrei Reifen wechseln :lol:

Martin
loyalm1
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Re: Schwinge verwürgt

Beitrag von loyalm1 »

Mein Gott, Martin, was für ein Aufwand!
Ich vermute allerdings, das war für Dich mehr eine Ehrensache, als eine Notendigkeit, dieses Porblem bis auf den Grund zu analysieren und dann auf Deine Weise zu lösen.
Wahrscheinlich wäre es ein Leichtes gewesen, eine andere, intakte Schwinge aufzutreiben.
Anyway: Ich freue mich, dass Du jetzt wieder 10tkm TX Fahrten vor Dir hast, für die ich Dir immer ein Blatt Papier stark Luft unter der Auspuffschelle wünsche. :D

Und ich würde mich aufrichtig freuen, ein paar hundert dieser Kilometer würden Dich im Juni zum TX-Treffen nach Weinähr führen...

(S)tierisch grüßt
Matthias
Matthias Loyal
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martin s aus b
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Re: Schwinge verwürgt

Beitrag von martin s aus b »

Hallo Matthias,

Danke für Deine Zuspruch. Eine Ersatzschwinge hätts gegeben, sie steht auf dem ersten Foto an der Wand. aber das wär dann doch langweilig gewesen und außerdem wollt ich schon wissen, was da nicht stimmt.

Wenn ihr in Weinähr seid bin ich, wenn alles klappt, mit der Kawasaki-Twin ...

Bild

... unterwegs nach Albanien. Aber vielleicht nächstes mal wieder,

Bis dann

Martin
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Re: Schwinge verwürgt

Beitrag von loyalm1 »

Gute Reise Dir! Ich kann's gut verstehen....
Matthias Loyal
IG TX750 Mitglied
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